Alterndes Angsthäschen.

Meine Oma wäre die beste Gruselgeschichten- und Horrorfilmdrehbuchautorin der Welt, ach des Universums geworden, hätte sie sich für’s Schreiben entschieden. Stattdessen lässt sie ihre schier unbegrenzte Fantasie im familiären Rahmen spielen:

„Oma, ich möchte vorbeikommen, hast du Zeit?“ „Bei dem Wetter? Es könnte Blitzeis geben, nachher rutscht du noch aus und brichst dir die Knochen. Oder ein Gewitter! Und wie überhaupt? Doch nicht etwa mit dem Fahrrad, bei dem Verkehr! Mit der Straßenbahn? Ohohoh, was da für Leute mitfahren, man hört das ja immer wieder in den Nachrichten, von den Überfällen, gerade neulich wieder, wie war das denn gleich …. […]“

15 Minuten und 132 Beschwichtigungen später haben wir eine Verabredung. Ich muss allerdings versprechen, diese bei hereinbrechendem Gewitter wieder abzusagen, wollene Unterwäsche anzuziehen, nicht mit gefährlichen Menschen zu sprechen und Kind2 nicht auf dem Boden spielen zu lassen, es könnte herumliegende Stecknadeln verschlucken.

Das wäre alles ja kein großes Problem, denn die Oma kommt mit ihren Ü90 ansonsten gut klar und an ihre Fantasie sind wir alle inzwischen gewöhnt. Nur: Ich bemerke so langsam an mir erschreckend ähnliche Züge. Noch ist es nicht das Blitzeis an einem milden Wintertag, aber das Kopfkino kommt bei allem möglichen in Gang und zwar deutlich früher als … nunja: früher.

So ein paar Beispiele:

+ Verspätet sich eine Freund*in oder sonst wer wesentlich, stehen Variationen von Unfällen im Drehbuch und ich telefoniere innerlich schon die Krankenhäuser ab.

+ Inlineskaten, Schlittschuhfahren, Rodeln, Ski etc. pp. führen unweigerlich zu komplizierten Knochenbrüchen. Also lieber die Finger von lassen.

+ Beim (derzeit höchst seltenen) Wandern in den Bergen bockt mein innerer Esel deutlich früher als noch vor ein paar Jahren und weigert sich, auch nur noch einen Schritt weiterzugehen wegen imaginierter Sturz- und Abrutschgefahr.

+ Ich fahre noch nicht einmal mehr Achterbahn aus Angst, das ganze Ding könnte zusammenbrechen  dass mir schlecht wird.

+ Großthema Kinder: keine Details, denn das schnürt mir manchmal richtig die Luft ab. Schon rein aus Aberglaube* bringe ich da nichts zu Papier, äh Blog. (*self-fulfilling-prophecy. Die Skeptiker*innen unter euch mögen Nachsicht haben.)

Ist das jetzt eine genetisch-soziale Vererbung bzw. Abfärbung oder eine Frage des Alter(n)s? Macht Erfahrung ängstlich - auch wenn es nicht die eigene erlebte, sondern nur gelesene, gehörte, gesehene ist? Wo führt das noch hin? Dass ich irgendwann das Haus nicht mehr verlasse?

Heute Abend bin ich übrigens zum Schlittschuhfahren eingeladen. Leider leider kann ich da nicht hin. Nicht auszudenken, was alles passieren kann. Es drohen Knochenbrüche und Blitzeis, im wahrsten Sinne des Wortes. Das alternde Angsthäschen bleibt lieber auf dem Sofa und überlegt, Horrorfilmautorin zu werden. Bei den Anlagen könnte das klappen.

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13 Antworten zu Alterndes Angsthäschen.

  1. Katharina schreibt:

    Ich würde ja gerne Entwarnung - oder wenigstens Entwirrung - geben, aber: Es wird schlimmer!

  2. Xeniana schreibt:

    Ja da würde ich mich Katharina anschliessen:)

  3. Mama arbeitet schreibt:

    Seitdem ich Kinder habe, entdecke ich auch Angsthasenseiten an mir, die ich bis dato nur von meiner Mutter kannte: Höre ich ein Martinshorn, überlege ich, wo meine Kinder gerade sind. Und ich kann mir auch vortrefflich ausmalen, was ihnen alles Schlimmes passieren kann. Das finde ich gar nicht schön - aber es gehört wohl dazu? Und ja, es wird schlimmer.

    Lieben Gruss!

  4. meineschreibblockadeundich schreibt:

    „Wo führt das noch hin? “

    Zu ganz viel Mut, weil frau ja den Kindern keine Angst machen will. Bestimmt! (Dafür dürfen meine Enkel mich später mal auslachen für mein Hasenherz.)

    Herzilchst
    Marie

    • cloudette schreibt:

      ohohohje, d.h. ich muss mit dem Kleinen womöglich Bungee-jumpen, Schlittschuh fahren, Hochseil-klettern und dabei alle (hoffentlich bis dahin noch verfügbaren) Zähne zusammenbeißen! ( ;-) )

  5. Bebe schreibt:

    Alles Gute zum Polnischem Oma Tag! :*
    p.s. Ich laufe OHNE Mütze. Bei diesem Wetter ;)

    • cloudette schreibt:

      oh, ist der heute? (Mütze -> abholen!!! :-) )

      • cloudette schreibt:

        aaah, der war am 21.1., ich habe das eben mal nachgeschaut, den gibt’s ja echt. Aaaber: noch bin ICH ja nicht Oma (wenn ich auch zunehmend solche Züge entwickle ;-) )

      • Bebe schreibt:

        Diese Woche in Polen alle Omas und Opas haben deren Zeit :)
        Oma is a state of mind. Ich kenne eine, die seelisch mit 19 Oma war. Und das war positiv :) (Abholen: bald?)

  6. Inch schreibt:

    DANKE FÜR DIESEN BLOG. Ich dachte bisher immer, ich sei überängstlich, gluckenhaft und hysterisch… was meine Kinder betrifft. Und das Enkel. Ich musste letztens mal nachschauen, ob es wirklich noch atmet, so ruhig und seelig es schlief…

  7. Prinzenrolle schreibt:

    Hm, an mir habe ich beobachtet, dass das Zutrauen in die Kinder mit der eigenen Unbeweglichkeit abgenommen hat. Also nicht die zunehmende Weisheit und Erfahrung ließ mich vorsichtiger und ängstlicher werden, sondern die abnehmende eigene Fitness. Da musste ich ganz bewusst Herzklopfen in Kauf nehmen, um die Kinder nicht zu sehr zu beschränken (und damit in der eigenen Entwicklung zu behindern).
    Ich plädiere für Zähne zusammenbeißen und die Kinder die Welt entdecken und erfahren lassen. In immer größeren Kreisen um das eigene Zuhause herum.

  8. cloudette schreibt:

    @inch: ebenso vielen Dank. Das Nachschauen kenne ich auch!

    @Prinzenrolle: Ja, natürlich sollen meine Kinder die Welt entdecken, sie sollen Schlitten fahren, Schlittschuh, Inline-Skater, meinetwegen auch Bungee springen, wenn sie das unbedingt irgendwann ausprobieren möchten. Einiges mache ich auch mit (nur nicht das mit dem Bungee), aber eben leider nicht mehr so gelassen wie noch vor einigen Jahren. Die Kunst ist wahrscheinlich, die eigenen Ängste nicht auf die Kinder zu übertragen.

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