Das „Business-Festival“ re:publica 2015. Ein persönliches & kritisches Fazit.

Als ich zur re:publica fuhr, nahm ich mir eigentlich fest vor, sie nicht mit dem 31. Chaos Communication Concress zu vergleichen. Dort war ich im Dezember und es war Liebe auf den ersten Blick. Nicht nur bei mir, auch bei meiner Familie, mit der ich angereist war. Einen Lobgesang habe ich hier veröffentlicht. Mich hat dort so ziemlich alles begeistert: die Vielfalt und Tiefe der Vorträge, die interessanten, offenen und verspielten Menschen, die Aufbruchsstimmung, die politischen Statements, der tolle Kinderbereich, die kreative Gestaltung der Räume … Die Begeisterung und das leichte Hüpfen im Bauch halten sich bis heute, wenn ich daran denke.

Auf der re:publica war ich auch zum ersten Mal und - ich nehme es fairerweise mal vorweg - es wurde keine Liebe, auch nicht auf den 2. Blick. Vielleicht auf den 3. - und damit komme ich zunächst einmal zum absoluten Highlight meiner Reise:

Auf der re:publica gab es sehr schöne Begegnungen mit Leuten, deren Blogs ich lese und denen ich auf Twitter folge. Oder die ich einfach so dort kennengelernt habe. Ich bin noch nie so vielen Leuten, die ich vorher nie gesehen hatte, spontan in den Arm gefallen. „Ach, du bist die soundso, wie toll dich mal zu sehen!!“. Das war wirklich schön. Manche Begegnungen waren intensiv, manche eher flüchtig, ich habe mich auf jeden Fall gefreut, so viele einmal persönlich zu sehen und ein paar Worte zu wechseln. Gerne hätte ich mich mit der einen oder anderen länger und in Ruhe unterhalten, für mich als Small-Talk-DAU waren diese vielen kurzen Begegnungen eine Herausforderung. Die netten Menschen wären für mich der einzige Grund, noch einmal auf die re:publica zu fahren, es ist einfach eine tolle Gelegenheit, Leuten zu begegnen und diese mit der Zeit auch ein wenig besser kennenzulernen. Außerdem verbrachte sehr schöne Abende mit einer alten Freundin und einen mit @alsmenschverkleidet und @buntzone. Hier war Zeit und Raum für intensive Gespräche, viel Flausch und Herz. Das war einfach schön!

Wenn ich aber ehrlich bin, habe ich es dann natürlich doch gemacht, ich habe die Veranstaltung mit dem ccc verglichen, dauernd, sorry. Schon am Eingang, als ich auf ein Schild stieß, auf dem verlautet wurde, dass während der Veranstaltung gefilmt und fotografiert werde, während es auf dem ccc völliger Konsens war, dass eins ohne Einverständnis natürlich keine Aufnahmen von Personen macht. Kleiner, aber feiner Unterschied. Ich habe verglichen, weil für mich die beiden Konferenzen zunächst auch einiges gemeinsam haben, in meiner Vorstellung zumindest. Beides, so dachte ich, sind Veranstaltungen, bei denen Leute zusammenkommen, die sich gerne im Netz bewegen und dieses und die Gesellschaft kritisch und kreativ mitgestalten möchten. Aber halt! Die re:publica ist ja neuerdings gar kein Community Event mehr, sondern offiziell ein Business-Festival (!), wie ich im Vorfeld von den Veranstalter!nnen erfuhr. Da stellten sich bei mir erstmals die Nackenhaare etwas hoch.

Die Veranstalter!nnen hatte ich übrigens angeschrieben, um mich nach Angeboten für Kinder und Familien* zu erkundigen. Womit ich beim nächsten Punkt wäre: Eigentlich planten wir, nach der erfolgreichen Tour nach Hamburg einen Familienausflug zur re:publica zu machen. Auf Twitter fragte ich also vorab mal rum, wer so alles mit Kindern käme und wie die Erfahrungen aus den Vorjahren seien. Die Antworten waren, gelinde gesagt, ernüchternd, darum fragte ich direkt nach. Auf die Mail an die republica kam u.a.:

„Bisher haben wir als Business-Festival keine nachhaltige Infrastruktur für einen Kidsspace entwickelt und auch keine Erfahrung wie z.B. relevante, pädagogische Inhalte für die Kids angeboten werden können.“

Man plane irgendetwas, genaueres wisse man noch nicht. Auf meine Bitte, mich auf dem Laufenden zu halten, kam nichts mehr, so dass der Mann nach einigem Hin und Her beschloss, mit dem Kind2 zu Hause zu bleiben. Das erschien uns stressfreier. Und ich muss sagen: Das war eine gute Entscheidung. Ich kann mir im Nachhinein nicht vorstellen, dass wir uns dort mit Kind sonderlich wohl und gut aufgehoben gefühlt hätten. Angefangen vom Kinderbereich, der mitten im Geschehen in der Riesenhalle platziert war, im totalen Getöse der Tagung. Es gab dort ein kleines Planschbecken mit ein paar Bällen („Bällebad“ höhö), es lag ein bisschen Lego und Bastelkram rum, der Lärmpegel war unglaublich hoch (von der Musik und den Leute, nicht wegen der Kinder). Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das vierjährige Kind2 es länger als 10 Minuten dort spannend gefunden hätte. Die Sessions waren natürlich nicht kinderkompatibel, es war überall voll und über dem Innenhof hing permanent eine Rauchwolke. Verspielte Nerds, die den Kleinen irgendwas erklärt hätten, habe ich auch keine gesehen. Nüscht für das Kind, fand ich. Innerlich seufzte ich also erleichtert auf - schließlich hatte ich ja auch dadurch frei - und widmete mich dem Programm.

Ich weiß nicht in wie vielen Vorträgen ich war. Aus ca. 30 % bin ich vorzeitig raus, weil sie sich für mich als belanglos herausstellten, bei 40 % habe ich durchgetwittert, weil ich zu faul war rauszugehen, der Rest war eine Mischung aus ganz interessant und/oder gut performed, wenn auch zumindest teilweise inhaltlich etwas flach. Highlights waren für mich die Vorträge von Juna zur jüdischen Blogosphäre, der von Journelle zur Vielfalt von Beziehungen in Zeiten des Internet, der von Felix Schwenzel zur Kognitiven Dissonanz („Wahrheit ist ein Kompromiss“ - kann eins ja nicht oft genug sagen!), der von Jasna Lisha Strick zu Critical Crafting (und zwar vor allem deshalb, weil hier mal was Kritisches, nicht-mainstreammäßiges von der Bühne kam). Den Vortrag von Ines Dorian Gütt zu „Surveillance Art und die fehlende Ästhetik der digitalen Massenüberwachung“ fand ich interessant, der hätte ruhig noch etwas tiefer einsteigen können. Außerdem war ich in der Kinderfotos-im-Netz-Session, wo ich mich zu 100% den Statements von @dasNuf anschließen konnte - nämlich keine erkennbaren Fotos und Namen von Kindern im Netz zu veröffentlichen.

Natürlich war ich in vielen womöglich tollen Vorträgen auch nicht. Weil ich mich mit dem temporären Mitbewohner beim Kaffee festgequatscht hatte und nicht früh genug loskam, weil ich mit Leuten im Gespräch war oder beim Klo anstand. Oder weil ich, während der gefeierte Astronaut sprach, lieber im Park im Cafe Eule saß, weil mir alles zu viel wurde und ich eine Auszeit brauchte. Aber erklärt das die schlechte Trefferquote? Ich hatte irgendwann das blöde Gefühl, dass ich mir zielsicher immer die falschen Vorträge herausgesucht hatte - womöglich war der parallele viel besser! Lustiger! Warum lachen die nebenan so und klatschen wie verrückt? Oder wurden da gerade animinierte Gifs eingeblendet? Ich fragte Leute in der Halle nach Tipps und Favorit!nnen, aber so richtige Empfehlungen bekam ich nicht. Auch sah ich kein Leuchten in den Augen ob des grandiosen Vortrags von xx. Habe ich also wirklich nichts verpasst? (jaja, außer Alex, ich weiß ^^), waren die Themen einfach nicht so meine Baustelle, waren die aufrüttelnden, visionarischen, widerständigen, inspirierenden Sessions einfach total dünn gesät? Mich hat es jedenfalls thematisch nicht gepackt.

Um die Meckereien jetzt mal abzuschließen, erwähne ich noch schnell, dass die Räumlichkeiten recht nüchtern waren, es keine kreative Deko gab und sich das Gelände gegen Abend doch relativ fix leerte. In der großen Haupthalle wurden ab 20 Uhr tonnenweise Flyer in große Müllsäcke gesammelt - um am nächsten Morgen wieder neue zu verteilen. Gerüchten zufolge soll es in Nebengebäuden Partys gegeben haben. Ob diese rauschend waren, vermag ich nicht zu sagen, da ich mich zu Privatveranstaltungen verabredetet hatte. Die Stimmung lud mich jedenfalls nicht zum gechillten Verweilen ein.

Mein Fazit: Die re:publica hat mich mit ihrem „Flair“ eines Business-Festivals leider nicht begeistert, was ein bisschen schade ist.  Die Hauptausrichtung auf Social-Media-Irgendwas, digitales Marketing, Popkultur und Twitterwitzchen war für mich persönlich im Großen und Ganzen nicht besonders inspirierend und interessant.  Nun ja. Aber ich hatte trotzdem superschöne Tage in Berlin, habe tolle Leute getroffen, mich gut unterhalten und bin sehr froh, dass ich die Reise unternommen habe! Ich hatte Zeit, war unglaublich entspannt und konnte mich erholen, was hauptsächlich daran lag, dass der Mann netterweise mit dem Kind zu Hause geblieben war und ich mich einfach mal treiben lassen konnte. Wie toll, vielen Dank dafür! Und herzlichen Dank auch an meine reizende Gastgeberin für den Unterschlupf!

______

* Herzlichen Dank an dieser Stelle an Frau Mierau und Aluberlin, die mit großem persönlichen Engagement die kleine, sehr feine Blogfamilia-Konferenz ins Leben gerufen haben. Mit Kinderbetreuung! Eigentlich wollte ich ohne Kind da erst nicht hin, habe mich wegen der netten Leute aber umentschieden. Vielen Dank, dass ich noch kommen durfte, das war alles sehr liebevoll und toll gemacht!!!

P.S. Einige Vorträge werde ich wohl noch nachschauen. Wie die von Zygmunt Bauman und Mareike Kaiser & Raul Krauthausen beispielsweise. Und den vom Astronauten vielleicht auch.

Der Kinderbereich. Mit Bällebad (rechts)

Der Kinderbereich. Mit Bällebad (rechts)

Symbolbild Vortrag

Symbolbild Vortrag

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4 Antworten zu Das „Business-Festival“ re:publica 2015. Ein persönliches & kritisches Fazit.

  1. steffenpelz schreibt:

    Egal, wo ich lese, mit wem ich mich unterhalte: Das gleiche Gefühl. Für mich war’s die dritte re:publica, daher war der „Klassentreffen“-Faktor vielleicht ein wenig präsenter. Summa summarum hab ich nach dem Lesen deines Beitrags das gleiche Gefühl, das ich auch auszudrücken versuchte: https://teilzeitpazifist.wordpress.com/2015/05/09/finding-republica-2015/
    Sollte ich mich nächstes Jahr nochmal durchringen, dann nicht wegen des Programms, wenn es so ist wie dieses Jahr.

    • cloudette schreibt:

      Interessant - ich habe tatsächlich nicht so sonderlich viel kritisches zur #rp15 gehört & gelesen, von daher danke für deinen Bericht!

  2. Ich bin dieses Jahr nicht zur rp gefahren, weil es mir letztes Jahr genauso ging wie dir: Ich hatte auch immer das Gefühl, im falschen Vortrag zu setzen und habe außer netten Begegnungen nicht viel mitgenommen.

    • cloudette schreibt:

      Danke für deine Rückmeldung! Inzwischen habe ich tatsächlich so einiges Kritisches über die diese und die letzten rps gehört. Letztendlich ist es nett, Leute zu treffen … aber dafür braucht eins ja keine Konferenz.

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