Das geplante Kaffeetrinken mit Oma endet abrupt: mit einem Sturz über die Türschwelle auf den gefließten Küchenboden. Binnen Sekunden bildet sich ein riesen Horn auf ihrer Stirn, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Großer Schreck, Schwesterchen und ich beschließen, sie schnell ins Krankenhauses zu fahren.
Nach rasanter Fahrt, einer fast übersehenen Straßenbahn und längerer Suche nach dem Eingangsbereich landen wir an der Notaufnahme. Wir werden sofort von der pompösen Wartehalle in den Backstagebereich geführt, als wir das Alter nennen. 94, oh weia, die Dame soll sich bitte hinlegen, nicht dass sie zusammenklappt. Wir sitzen zu dritt auf der Krankenliege im Kämmerchen, noch leicht schockiert, es wird doch hoffentlich nichts Schlimmes sein.
Oma findet als erste die Worte wieder und beginnt, den verpassten Kaffee und, viel schlimmer, den ebenfalls verpassten traditionellen Sekt zu beklagen. Ob sie den Arzt wohl fragen kann, ob sich das heute noch nachholen ließe? Vielleicht nicht als erstes, empfehlen die Schwester und ich, und die Sorge entlässt uns schon langsam aus ihrem Griff. Wer Sekt trinken möchte, dem kanns so schlecht nicht gehen. Wir reißen erleichtert die ersten albernen Witze, über Holzköpfe und ähnliche Tiefsinnigkeiten, während Oma den einen und anderen Schwank aus ihrem Leben erzählt.
Das Kämmerchen ist eng, abgeschabte Möbel, rissige Wände, abgelaufene Prüfplaketten auf medizinischen Geräten. Hinter den Kulissen ist nichts mehr pompös, eher abgefuckter 70er-Jahre-Charme. Oma ist inzwischen beim Rezitieren von Volksliedern angelangt und läuft zu altgewohnter Form auf. Das Ganze bekommt skurrile Züge, hier fehlt wirklich nur noch der Sekt, die Party ist in vollem Gange. „Oma, ein bisschen mehr Gebrechlichkeit würde die Warterei eventuell verkürzen, die hören dich doch die ganze Zeit quietschfidel quatschen“, meint die Schwester zwischendurch, immer wieder von Gekicher geschüttelt. Wäre dieses Riesenhorn auf Omas Stirn nicht, das sich so langsam knallblau verfärbt, wir könnten getrost wieder nach Hause gehen.
Nach zwei Stunden Klamauk kommt ein junger Arzt vorbei, schätzungsweise ein Drittel so alt wie Oma, die sich sofort kerzengerade in Form setzt. „Das muss geröntgt werden, tragen Sie denn ein Hörgerät?“, fragt er.
Oma: „Neee, wissen Se, ich hab‘ ja nur noch 10 % Sehvermögen“ (Äääh, Oma, moment, Thema verfehlt?! …), “ … Und die Dinger sind ja so klein. Wenn mir das rausrutscht und runterfällt und ich drauftrete, da sind doch 2000 € futsch!“
Um die Schwester ist es nun endgültig geschehen, sie verlässt fluchtartig den Raum und bricht im Flur mit einem Lachkrampf zusammen. Mir laufen die Tränen über das Gesicht, während die Röntgenschwester die kichernde Oma in die Röhre schiebt.
Nach drei Stunden - wir sind inzwischen bekannt wie bunte Hunde - können wir endlich nach Hause gehn: Es ist alles in Ordnung, der Oma wird „erstaunliche Fitness“ attestiert. „Jetzt hab‘ ich euch den ganzen freien Nachmittag verdorben.“ Ach Oma, will ich sagen, doch da macht sie schon weiter „… aber andererseits: Ich war euch ja auch immer eine gute Oma und lustig war’s auch, oder?“ Genau das wollte ich eben sagen. Und: lange nicht mehr so viel gelacht! Das mit dem Sekt holen wir nach!
wie genial
So eine Oma hätte ich auch gern gehabt! Und wer weiß, ob ihr zu Hause so viel Spaß gehabt hättet ;).
Klingt toll!
Super Oma scheinst du da zu haben!
Liebe Grüsse
Nathalie
super, so eine lustige Oma zu haben. Viele Grüße unbekannterweise an die tolle Oma!
Tine
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