Zu Besuch beim Töchterchen in der Großstadt. Es ist lausig kalt dort oben im Norden. Grau in Grau in Grau. Werbeblätter flattern durch die Straßen, bis sie zu einer Pampe am Wegesrand verklumpen, wir ziehen die Kragen hoch gegen den Winter, von Frühling ist hier noch keine Spur. 3 Monate haben wir uns nicht gesehen, schön ist das Wiedersehen. Nun haben wir fast 3 Tage zum Plaudern und um die Häuser ziehen.
Ein Besuch beim Töchterchen ist immer auch eine kleine Reise in die Vergangenheit, in alte Zeiten, als ich mit ihr hier oben wohnte, bis wir nach der Grundschule gen Süden zogen. Vertraute Ecken, viele Freund/innen sind noch hier, Erinnerungen an die WGs auf dem Lande. Mit 18 zog es das Töchterchen wieder in den Norden. In die Großstadt, die ich nie mochte, grau fand ich sie. Langweilig. Äußerst langweilig. In die ich nur fuhr, um auf ein Konzert zu gehen, auf den Flohmarkt, auf Demos, selten zum Shoppen.
Erst langsam entdecke ich ihre schönen Seiten bei meinen Besuchen. Die Cafés, die Vielfalt an Menschen und Läden, die alten Klinkerhäuser, die spannenden Viertel. Es ist die Stadt mit der vermutlich höchsten Kiosk-Dichte der Welt, an fast jeder Straßenecke gibt es einen. Und in ihnen ein grandioses Bunte-Tüten-Angebot und abgefahrene Getränke. Lakritz-Cola. So zum Beispiel.
Hier torkeln besoffene Punks durch die Gegend, haste mal’n Groschen. Hier reiht sich ein edler Rote-Punkte-Rüschen-Schnickschnack-Laden an den nächsten. Bioladen neben Dönerbude, Cafés im US-Stil, teure Boutiquen und verranzte Ecken. Ein Viertel mitten im Gentrifizierungsprozess, Kündigungen für alteingesessene Imbissbuden, steigende Mieten und Immobilienpreise auf einem Niveau, wie ich es von unserem beschaulichen Puppenstuben-Städtchen kenne. Auf der anderen Seite verkauft die Stadt hier eine ehemalige Grundschule, einen Riesenkasten, günstig an eine Projektgruppe für gemeinsames Wohnen, erzählt ein Freund. Über das Mietshäusersyndikat ist gewährleistet, dass es hier keinen Mietwucher, keine Spekulationen geben wird. Super!
Mit dem Um-die-Häuser-ziehen wird es nicht so viel, es ist zu kalt und die Tochter ist im Zockerfieber. Wizard heißt das Spiel, komische Figuren auf komischen Karten, nach einer Runde ist mir klar: Das ist einfach “Stiche ansagen”. Ha! Das habe ich früher fanatisch gespielt. Tagelang. Wochenlang. Mit einem Poker- oder Skatblatt. Auch das ist eine Reise in die Vergangenheit, das stundenlange Zocken in der WG-Küche. Noch ne Runde, wir haben Zeit, keine Termine. Herrlich. Mit den Karten kann ich mich nicht recht anfreunden, also wir haben das ja früher mit einem einfachen Skat-… Mensch Mama, das sagst du jetzt zum 500. Mal, die Tochter verdreht die Augen. Tja, ist doch aber auch so, also früher …. Tsss.
Am nächsten Morgen sitze ich alleine in der Küche, mit dem Ausschlafen war es wieder nichts, auch ohne Bio-Wecker wache ich Schlag 7 auf. Es dauert lange, bis sich jemand blicken lässt, 7 ist ja quasi mitten in der Nacht. Ich habe Zeit, um die wenigen Kaffeevorräte wegzuschlürfen und festzustellen, dass WG-Küchen noch genau so aussehen wie vor äähmja 20 Jahren. Ein Sammelsurium an Stühlen, Einrichtungsgegenständen, Tassen. Gewürzgläser am Deckel aufgehängt, bezogen mit einer leichten Fettschicht.
Die Tage gehen wie im Flug ins Land, von zu Hause tröpfeln Nachrichten rein, Kind2 geht es gut, “Mama Dug” sagt es = Mama ist mit dem Zug weg. Und kommt bald wieder. Am Sonntag morgen heißt es leider schon Abschied nehmen, ich sitze im Zug und brause gen Süden. Meine Klamotten riechen nach Holzfeuer vom Ofenanheizen, nach Essen vom großen WG-Gekoche. Ich bin müde von den langen Abenden und kurzen Nächten. Ich bin beglückt von den schönen Tagen mit dem Töchterchen. In wenigen Stunden bin ich wieder zu Hause, im Provinzstädtchen, bin wieder Kleinkindmama, bin wieder in meiner Alltagswelt. Ich freue mich darauf, sehr sogar, und bin ein ganz klein wenig wehmütig. Ein Lächeln und ein Tränchen. So ist das manchmal.
Liebe Cloudette,
mir ist ganz warm ums Herz und das hat nichts mit meinem Alter zu tun😉. Was für ein wundervoller Artikel!
Herzichst
Marie
die gerade kein so inniges Verhältnis zur Frau Tochter hat.
(Bestimmt kommt das zurück, wenn das Kind wieder auszieht …)
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danke dir, liebe Marie! Es ist immer am schönsten, wenn ich zum Töchterchen fahren kann. Bei Gegenbesuchen haben wir längst nicht so viel intensive Zeit zusammen. Ich wünsche dir entspannte&innige Zeiten mit deiner Tochter (“zurückkommen” heißt ja, dass ihr diese schon zusammen hattet, oder? Dann wird das bestimmt auch wieder! *daumendrück*)
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Ja, wir haben durchaus unsere guten Phasen (gehabt), die Frau Tochter und ich. Nur im Moment sitzen wir uns etwas zu sehr auf der Pelle.
Liebe Grüße noch einmal!
Marie
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Ich werde ganz wehmütig, denn noch wohnen unsere Kinder hier bei uns.
Wenn die aber ausziehen, habe ich keinen Nachzügler, an dem ich dann mein Gluckengen ausüben kann.
Andererseits so Besuche bei großen Töchtern, das hat ja schon was gell?
lg S.
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oh ja, das hat was, das ist wirklich toll!
(Vielleicht bist du ja nach dem Auszug froh über eine Pause … bis es womöglich mit den Enkeln weitergeht😉 )
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Das ist auch möglich!
Wobei ich hoffe dass sich meine Damen damit noch Zeit lassen, sie sind ja noch so jung!
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wunderbar geschrieben!
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Oh, danke schön!!
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ach schön!
ich sollte mal wieder bisschen lieber zu meiner armen mutti sein…zum glück ist sie gerade noch im urlaub, aber direkt danach ange ich an!
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